Wirres Haar

Yosano Akiko

Es geschieht nicht selten, dass literarische Werke einige Jahrzehnte brauchen, um über ihren eigenen Sprachraum hinaus Wahrnehmung zu erfahren. Dass es deutlich mehr als ein Jahrhundert dafür braucht, ist jedoch überraschend und womöglich ein Zeichen dafür, dass es noch einige von der viel beschworenen Globalisierung unberührte Inseln kultureller Überlieferung gibt. Im Fall von Yosano Akiko (1878–1942), deren literarisches Debüt aus dem Jahr 1901 nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, ist die Verspätung umso verblüffender, als es sich nicht nur um eine Meisterin der lyrischen Form Tanka handelt, sondern sie überdies als Revolutionärin und erste moderne Stimme der japanischen Dichtkunst gilt. Midaregami, so der Titel ihres im damaligen Japan Aufsehen erregenden Gedichtbandes, heißt „wirres Haar“ und versteht sich als Infragestellung des traditionellen japanischen Frauenbildes, zu dem nicht zuletzt das gepflegte, fein gekämmte und hochgesteckte Haar gehört. Indem sich Yosano Akiko ihren Lesern mit „wirrem Haar“ präsentiert, werden ihre Rollen als Frau und Dichterin von ihr nach eigenen Maßstäben neu definiert. Inwieweit ihre Dichtkunst auch auf sprachlicher Ebene einen Bruch mit klassischen Traditionen darstellt, werden vermutlich nur des Japanischen kundige Kenner beurteilen können. Ungeachtet dessen stellt der vorliegende Band für alle Freunde der lyrischen Kurzformen, wie sie uns die japanische Kulturtradition überliefert, ein Fundstück dar. Nicht zuletzt ist dem Übersetzer Eduard Klopfenstein zu danken, der diese verborgene Perle für deutsche Leser erschlossen hat.

Verlag
Manesse
ISBN
9783717525400
Einband
gebundene Ausgabe
Seitenzahl
192
Erscheinungsjahr
2023
Übersetzt von
Klopfenstein, Eduard
25,00 €
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